Alle Welt redet vom „Waldbaden“. Was zunächst nach aufwändiger Aktion klingt, mit Kursen und Ausbildungen etc., ist
eigentlich nichts anderes als draußen im Wald zu sein und da auch für einige Zeit (idealerweise mindestens zwei Stunden) zu bleiben. Das Problem dabei ist für viele Menschen folgendes: Was mache
ich nur die ganze Zeit?
Auch wenn es zunächst lustig klingt, ist die Sache mit der Zeit doch nicht so einfach wie gedacht. Klar, man kann spazieren
gehen, aber zwei Stunden lang, das erfordert erstmal einen Wald, der groß genug ist und auch einiges an Kondition. Darum möchte ich dir ein Konzept vorstellen, das zu den Wildnisroutinen gehört
und eine Menge an positiven Effekten für Körper, Geist und Seele hat: Der Sitzplatz.
Der Sitzplatz ist ein kleines Eckchen in der Natur, den du dir aussuchst und an dem du regelmäßig Zeit verbringst. Du musst
dort keine Exerzitien durchführen, sondern dich einfach nur hinsetzen und die Natur auf dich wirken lassen. Als Platz eignet sich zum Beispiel ein Baumstumpf im Wald, ein sonniges Plätzchen am
Rand einer Wiese oder ein umgestürzter Baumstamm an einem kleinen Fluss. Am sichersten findest du ihn, wenn du auf dein Gefühl hörst. Wenn du einen Platz entdeckst, der dich spontan anspricht, wo
du dich wohlfühlst, wo du dich gerne hinsetzen würdest, dann hast du deinen Platz gefunden.
Was machst du nun mit deinem Sitzplatz? Dein einziger Job ist es, dich ruhig hinzusetzen, je länger, desto besser. Auch das
kann anfangs etwas schwierig sein. Vielleicht findest du keine bequeme Sitzposition. Du fragst dich, was das alles soll und was zufällig vorbei kommende Leute wohl denken, wenn sie dich da sehen.
Egal. Beginne mit einer kurzen Zeitspanne an deinem Sitzplatz und verlängere sie langsam. Nimm dir eine Thermoskanne mit Tee und etwas zu Knabbern mit. Geh zu Anfang an Tagen mit schönem Wetter
und genieße es bewusst.
Höre auf das Rauschen des Windes, spüre die Sonne und die leichte Brise an einem Sommertag. Schnuppere in der Luft nach dem
Duft, der gerade vorherrscht. Im Sommer ist das vielleicht der Duft eines reifen Kornfeldes, im Herbst der eines frisch gepflügten Ackers oder der des Waldbodens, im Winter der scharfe, kalte
Geruch nach Schnee, im Frühling der Duft unzähliger Blüten.
Höre auf die Geräusche. Im Frühling hast du zum Beispiel ein Vogelkonzert, im Sommer das Quaken von Fröschen, das Summen
eines Mähdreschers in der Ferne, die Heuschrecken in der Wiese. Im Herbst den Ruf der Kraniche, das Rascheln von kleinen Tieren im Laub. Und im Winter die typische Atmosphäre, die alle Geräusche
dämpft und nur dann eintritt, wenn Schnee liegt. Bewerte nicht, was du siehst, hörst oder riechst, nimm es einfach nur wahr.
Und schon sind diverse Minuten vergangen, in denen du dich nur der Wahrnehmung der Natur gewidmet hast. Du hast die Zeit
vergessen und fühlst dich wohler, vielleicht sogar schon etwas entspannter. Und deine Wahrnehmung wird sich weiter schärfen, je öfter du das tust. Den Sitzplatz kannst du natürlich auch mit
anderen Aktivitäten verbinden. Wichtig ist nur, dass du dir regelmäßig ein paar Minuten bis zu einer Stunde lang die Zeit nimmst, um an deinem Sitzplatz innezuhalten. Dann kommen auch die
positiven Effekte zum Tragen. Wenn du beispielsweise nach einer guten halben Stunde am Sitzplatz weiter gehst, wirst du vielleicht feststellen, dass du dich langsamer und bewußter vorwärts
bewegst als sonst und dass du Dinge wahrnimmst, an denen du normalerweise einfach vorbei gegangen wärst: eine hübsche Blume, eine Maus, die über einen Baumstamm huscht oder auch ein Reh, das fast
unsichtbar im Schatten der Bäume steht und dich beobachtet. Der Sitzplatz bringt dich mehr in die Gegenwart und verhindert das ständige Gegrübel über Vergangenheit und Zukunft, mit dem sich
unser Geist so gerne beschäftigt. Probiere es einfach mal aus.
Eins noch: Jetzt, in der Brut- und Setzzeit (und auch sonst), achte darauf, dass Du deinen Sitzplatz an einem (vielleicht weniger begangenen) Weg wählst und nicht
irgendwo mitten im Wald. Die Tiere des Waldes (und der Jäger) werden es dir danken :-)