Heute wird es magisch! Die Tollkirsche (Atropa belladonna) ist eine kleine Berühmtheit. Jeder kennt ihren Namen, aber kaum einer weiß, wie sie aussieht. Manche
haben durch die Homöopathie von ihr gehört, andere durch Kurse, wieder andere kennen Geschichten, in denen sie vorkommt. Viele Leute reagieren zudem mit Unbehagen, wenn ich die Tollkirsche
vorstelle. Auch der Fliegenpilz hat dieses Schicksal: Häufig sehe ich umgetretene Fliegenpilze, angeblich damit sich die Kinder nicht daran vergiften.
Auch hier gibt es anscheinend eine vererbte Angst vor... ja, vor was eigentlich?
Fakt ist: Stark giftige Pflanzen, an denen sich Kinder und Haustiere vergiften können, gibt es im Garten zuhauf, von der Christrose über den Goldregen bis zum
Eisenhut. Die Tollkirsche ist ebenfalls eine stark giftige Pflanze. Aber: Sie wurde früher wie der Fliegenpilz mit Magie, Hexen und dem Teufel in Verbindung gebracht. Vor allem galt sie als Zutat
für die berüchtigte Hexenflugsalbe, daher der Name "Toll"kirsche, also "toll" im Sinne von "verrückt". Und eine Hexenpflanze kann ja nur vom Teufel
stammen... Anscheinend haben wir diese Gruselgeschichten so stark verinnerlicht, dass sie sich in unserem Unterbewußtsein abgespeichert haben.
Allerdings umgibt die Pflanze tatsächlich eine spürbare Aura, sie hat "Persönlichkeit", ähnlich wie die Oberprimadonna in meinem Garten, die Alraune. Sie zieht
einen einen irgendwie in ihren Bann, obwohl sie eigentlich recht unscheinbar ist. Ich war einmal in einem alten Fichtenwald und starrte beim Laufen auf den Boden, weil ich die Moosarten
kartieren wollte. Als ich irgendwann hochblickte, hing ich mit dem Kopf komplett in einer Tollkirsche, die ich in meiner Konzentration auf Moose fast umgerannt hatte. Ein weiterer Blick zeigte
mir, dass der ganze Wald vor mir mit Tollkirschen bestanden war, die alle aussahen wie Tänzerinnen auf einem Bein. Dadurch bekam der recht düstere Wald eine magische Atmosphäre, die aber
keineswegs unheimlich war, sondern eher anmutig. Seitdem hatte ich den Wunsch, die gar nicht so kleine Tänzerin in meinem Garten anzusiedeln. Das ist gelungen, Frau Tollkirsche fühlt sich
wohl und entpuppt sich als wahrer Platzhirsch :-)
Die Tollkirsche gehört zu den Nachtschattengewächsen (Solanaceae) - Überraschung! - und ist somit verwandt mit Kartoffel, Tomate, Paprika, Aubergine und Tabak, aber
auch mit Stechapfel, Bilsenkraut, Schwarzem Nachtschatten und Alraune. Eine illustre Verwandtschaft, und eng mit den Menschen verzahnt. Abseits von allem Dämonischen ist sie eine prima
Bienenweide. Sobald ihre braunen, glockenförmigen Blüten im Juni aufgehen, wimmelt es vor Bienen und Hummeln. Sie mag einen halbschattigen, leicht feuchten Standort mit basen- bis kalkreichem
Boden und ist relativ resistent gegen die kleinen schleimigen Vielfraße.
Auch als Heilpflanze hat sie (natürlich) eine lange Tradition. Ihr Hauptwirkstoff, das Atropin, wird in der Schulmedizin genutzt und ist zudem ein wichtiges
Gegengift. Der Name "Belladonna" stammt einer möglichen Interpretation nach von einem alten Brauch bei Frauen, sich den Saft in die Augen zu träufeln. Dadurch erweitern sich die
Pupillen, was früher als Schönheitsideal galt. Auch heute noch wird eine atropinhaltige Flüssigkeit in der Augenheilkunde genutzt.
Fazit: Die Pflanze ist eine echte Bereicherung für den Garten. Aber falls ihr sie in pflanzen wollt, macht euch bewußt, dass sie wie alle Giftpflanzen nicht
ganz ohne ist. Also: Vorsicht wegen der starken Giftigkeit in allen Pflanzenteilen.
Besondere Vorsicht gilt auch vor den glänzend schwarzen Früchten, besonders wenn ihr Kinder oder naschhafte Haustiere habt. Denn keiner möchte vorzeitig die Radieschen von unten sehen.