Diese Pflanze passt nicht so ganz in die Riege heimischer Arten, die ich hier vorstelle. Dennoch ist sie ein spannendes Gewächs. Denn spätestens seit Harry Potter
kennt wohl jeder den kleinen Schreihals und sein etwas anspruchsvolles Gehabe.
Das Spannende an dieser Pflanze - zumindest für die Magier und Hexen unter uns - steckt in der Erde, nämlich
die berühmte Wurzel. Sie ist sehr kräftig, besteht aus einer zwei- bis dreiteiligen, gedrehten Hauptwurzel und kann 30 Zentimeter oder länger werden.
Dazu soll sie die Form eines Menschen haben (mit etwas Fantasie). Die beiden in Südeuropa heimischen Arten wurden früher
als "männliche" Alraune (M. officinarum) und als "weibliche", weil etwas kleinere Alraune (M. autumnalis) bezeichnet. Gelegentlich wird diskutiert, ob es sich wirklich um zwei
Arten handelt. Verwendet wurden sie jedenfalls beide.
Die Alraune wächst rosettenartig dicht an der Erde und sieht auf den ersten Blick eher unscheinbar aus. Ihre großen Blätter sind elliptisch, ganzrandig und runzlig. Hübsch sind vor allem ihre violetten
Blüten, die bei der herbstblühenden Art (Mandragora autumnalis) ab September erscheinen, obwohl sie zumindest hier oben nicht so oft blüht. Die frühjahrsblühende Art (Mandragora
officinarum) hat von März bis April gelbe Blüten. Die gelblichen Früchte sind kleine Beeren.
Ihr Lebensrhythmus ist etwas anders als wir das so gewohnt sind. Ab Juli, wenn es draußen warm und sonnig ist und die meisten heimischen Pflanzen blühen, wirft die
Alraune gerne die Blätter ab und verschwindet. Man schaut also den Rest des Sommers auf einen leeren Topf. Diese Vorgehensweise ist eine Anpassung an ihr Herkunftsgebiet in Südeuropa, wo es
im Sommer sehr heiß und trocken ist. Sie wächst vorzugsweise auf sonnigen bis halbschattigen, sandigen Standorten. Da schützt sie sich durch den Blattabwurf vor der Austrocknung und taucht
erst wieder auf, wenn die Tage kühler und feuchter werden. Bei uns passt das nicht so ganz, denn wenn die jungen Blättchen ab September vorsichtig über den Topfrand lugen, geht es schon
stramm Richtung Winter. Und Winter ist nicht so ganz ihr Ding. Ein paar Minusgrade kann sie an einem geschützten Platz aber durchaus auch mal ertragen.
An die Blattabwerferei muss man sich allerdings erst mal gewöhnen. Allzu abrupte Standortwechsel sind zum Beispiel gar nicht gerne gesehen. Kaum hatte sie ich zu
Hause, waren schlagartig alle Blätter weg. Nun kann man das natürlich irgendwo verstehen, denn Pflanzen wechseln in der Natur in der Regel ja auch nicht den Standort. Aber die Kollegen anderer
Pflanzenarten kommen damit durchaus zurecht, ohne gleich zu solch drastischen Mitteln zu greifen. Gleiches gilt übrigens für das Umtopfen: Zack und weg. Nun mag die Alraune bekanntermaßen auch
das Umtopfen nicht besonders gerne, auch wenn sie nicht schreit, aber gelegentlich muss das eben mal sein. Daher topfe ich sie - wenn überhaupt - im Sommer um, wenn die Blätter eh weg
sind.
Ich könnte sie natürlich auch ins Beet setzen - kein Umtopfen und keine Standortwechsel mehr. Aber da sie erstens recht klein ist und von anderen Pflanzen einfach
überwuchert würde, zweitens der Garten nicht genug Sonne für sie hat und es auch zu feucht ist und drittens da auch noch der Frost hinzukommt, habe ich lieber gelegentlich das Gezicke auf der
Terrasse, aber die Pflanze überlebt wenigstens. Bei Frost stecke ich sie übrigens nachts gnadenlos in den Keller, was dann auch klaglos akzeptiert wird. Als reine Zimmerpflanze taugt sie hingegen
gar nicht, da sind die Blätter sofort weg - zumindest bei meinem Exemplar.
Ich hoffe, dass ich es irgendwann erlebe, dass der kleine Trotzkopf mal blüht. Aber dazu muss ich mich wohl mehr ins Zeug legen: Mehr Sonne, mehr Wärme,
mehr (oder weniger) persönliche Betreuung... :-)
Verständlich, dass sich um eine Pflanze mit solch ausgeprägtem "Charakter" wilde Geschichten ranken. Ihre Wurzel in Menschengestalt wurde wie schon gesagt als
starker magischer Schutz angesehen, weswegen sie häufig ausgebuddelt wurde. Das ging aber natürlich nicht einfach so: Die Geschichten reichen von den berüchtigten, tödlichen Schreien der Pflanze,
die jeden dahin raffen, der sie hört, bis hin zu armen Hunden, die an die Wurzel gebunden wurden, sie ausreißen mussten und dann statt des Menschen starben. Auch ihr angeblich bevorzugter
Wuchsort direkt unter Galgen unterstreicht die merkwürdige Aura der Pflanze. Abseits aller Schauermärchen gehört die Alraune zu den Nachtschattengewächsen (Solanaceae), von denen es ja
bekanntlich einige Vertreter gibt, denen magische Eigenschaften zugesprochen und die daher gerne mal dämonisiert wurden. Auch sie ist in allen Teilen stark giftig und wurde früher unter anderem
als Narkotikum und starkes Schmerzmittel verwendet. Astrologisch gehört sie zu Saturn.
Zu ihrem ökolgischen Nutzen kann ich nur wenig sagen. Da sie spät blüht, könnte sie für einige Insekten eine gute Futterquelle sein, wenn ansonsten kaum noch Blüten
da sind. Aber sie ist definitiv keine heimische Pflanze. Schnecken mögen sie übrigens auch. Die haben ja bekanntlich einen Magen aus Stahl und verdauen nahezu alles. Aber die Alraune weiß sich zu
helfen (und jetzt alle, zwei, drei): Sie wirft die Blätter ab, zumindest die angefressenen.
Die kleine, eigenwillige Pflanze ist mir nach über sieben gemeinsamen Jahren echt ans Herz gewachsen. Normale Pflanzen hat ja jeder :-)