Dieses lustige Gewächs hört auf den schönen Namen Wald-Fetthenne
(Hylotelephium telephium). Wer jetzt etwas Huhnähnliches erwartet, wird enttäuscht ;-) Tatsächlich ist die Namenserklärung nicht so leicht. Die gängigste Erklärung lautet: Die Fetthennen heißen Fetthennen, weil sie mehr oder weniger dicke, wasserspeichernde Blätter besitzen. Zu sehen ist das zum Beispiel auch
bei der Weiße Fetthenne (Sedum album). Sie gehört allerdings zur Gattung Sedum, zu der unsere Wald-Fetthenne
auch mal gehörte, damals Sedum telephium. Alle Fetthennen gehören wiederum zur Familie der Dickblatt(!)-Gewächse (Crassulaceae).
Typisch für die Wald-Fetthenne sind neben den Blättern die schirmartigen Blütenstände, aber die haben diesmal nichts mit den Doldenblütlern zu tun. Die kleinen
Blüten sind gelb bis rötlich-purpurn und erscheinen von Juli bis Oktober. Die ganze Pflanze wird bis zu 50 Zentimeter hoch. Die flächigen, verdickten Blätter sind am Rand gezähnt. Gut zu
beobachten sind im Winter die eiförmigen Überwinterungsknospen am Ansatz der Stängel. Während die Pflanze oberirdisch abstirbt, bleiben sie den Winter über nestartig dicht an den Boden gedrückt
sichtbar und treiben im Frühjahr aus.
Dicke Blätter gibt es natürlich auch woanders, zum Beispiel beim Scharfen Mauerpfeffer (Sedum acre) und bei der Tripmadam (Sedum reflexum - jaja,
diese Gattung hat's mit den Namen ;-) Sie alle gehören wie die Wald-Fetthenne zu den sogenannten Blattsukkulenten, also Pflanzen, die ihre Blätter als Wasserspeicher nutzen. Die bekanntesten Wasserspeicherer sind wohl die Kakteen. Sie speichern fast alle Wasser im Stamm (= Stammsukkulenten).
Und warum das Ganze? Nun, wer etwas Wasser "auf die Seite legen kann", hat einen Vorrat in trockenen Zeiten. Und das ist der Punkt. Die Fetthennen wachsen gerne an
Standorten, die trocken und damit für andere Pflanzen weniger attraktiv sind: Felsen, Dünen, sandige Böden, Pflasterritzen oder auch Mauerkronen. So auch die Wald-Fetthenne. Sie kommt gut mit
Trockenheit zurecht, so dass man sie da findet, wo es felsig oder sandig und warm ist. Das kann auf dem Trockenrasen sein, am trockenen Rand einer sandigen Wiese, in den Dünen am Meer oder auch
in trockenwarmen, lichten Wäldern. Dabei gibt es mehrere Unterarten: Zum Beispiel die gelb blühende Große Waldfetthenne (Hylotelephium telephium susp. maximum) oder die weinrot blühende
Purpur-Waldfetthenne (Hylotelephium telephium susp. telephium). Wobei man diese auch auf Böden finden kann, die kurzzeitig etwas feuchter
("frischer") sind. Da die einzelnen Arten oft nicht so leicht voneinander zu unterscheiden sind, werden sie in einer Sammelart zusammengefasst: Hylotelephium telephium agg. Meine
Wald-Fetthenne auf dem Foto ist übrigens eine Sorte: Hylotelephium telephium 'Herbstfreude' (ausnahmsweise,
weil es das Original nur als Saatgut gab ;-)
Wer sich als Pflanze auf trockene Standorte spezialisiert, hat natürlich auch noch andere Tricks in petto. So besitzen die Fetthennen, wie alle Mitglieder der
Crassulaceae, eine Spezial-Photosynthese. Grundsätzlich produzieren Pflanzen mittels Photosynthese aus Wasser, CO2 und Licht Kohlenhydrate, die sie anschließend zur Energiegewinnung
wieder veratmen. Dafür gibt es ein Standardmodell: Die C3-Photosynthese - so genannt, weil nach der CO2-Fixierung als erstes ein Molekül mit
drei Kohlenstoffatomen entsteht, das 3-Phosphoglycerat. Unter "normalen" Bedingungen, wie sie bei uns vorherrschen, ist die C3-Photosynthese ist effektivste
und daher sind fast alle heimischen Pflanzenarten sogenannte C3-Pflanzen. Anders wird die Situation, wenn es trocken und warm ist: Denn um CO2 zur Fixierung
ins Blatt zu kriegen, müssen die winzig kleinen Spaltöffnungen (Stomata) des Blattes geöffnet sein. Durch diese Öffnungen entweicht aber auch Wasserdampf. Das ist zwar gewollt und auch notwendig,
kann aber bei großer Trockenheit schnell mal lästig werden (-> Wassermangel). Daher haben C3-Pflanzen bei Trockenheit eine verringerte Photosyntheseleistung, unter anderem weil sie permanent
zwischen Wasserdampfverlust und CO2-Bedarf hin- und her balancieren.
Aber es gibt ja Innovationen :-) Denn die Fetthennen haben noch einen anderen Photosyntheseweg, die sogenannte
CAM-Photosynthese (Crassulacean Acid Metabolism), so genannt, weil dieser Weg bei den Dickblattgewächsen zuerst entdeckt wurde.
Hier wird CO2 vorfixiert, und zwar nur nachts, wenn es aufgrund von fehlender Sonneneinstrahlung keine Probleme mit der Hitze bzw. mit dem Wasserverlust gibt. Dann werden die
Spaltöffnungen geöffnet und das CO2 kann einströmen. Es wird sogleich fixiert, und zwar mit einem sehr "griffigen" Enzym, der PEP-Carboxylase, die das CO2 effektiv binden kann. Es entsteht erst
Oxalacetat, das zu Malat (Apfelsäure) umgebaut wird. Dieses Malat wird in den Zellen gespeichert, bis es hell wird und die Photosynthese wieder anläuft. Daher
stammt auch der alte Botanikerwitz: Wenn man früh morgens in einen Kaktus beißt, schmeckt er sauer. Toll. (Liebe Kinder und auch Erwachsene, bitte nicht nachmachen ;-) Wenn also die Sonne aufgeht, schließen sich die Spaltöffnungen. Das in der Nacht fixierte CO2 wird jetzt freigesetzt, indem es vom Malat-Molekül wieder abgespalten wird.
So ist bei Sonneneinstrahlung genug CO2 für die Photosynthese vorhanden, ohne groß Wasser zu verlieren.
Unnötig zu erwähnen, dass die CAM-Photosynthese insbesondere bei vielen Wüstenpflanzen sehr beliebt ist. Eine der berühmtesten CAM-Pflanzen ist allerdings die Ananas
(hat da eigentlich schon mal jemand früh morgens reingebissen? Kleiner Scherz ;-) Viele Fetthennen können im Übrigen zwischen zwei Wegen hin und herschalten, so auch unsere Fetthenne. Sie nutzen
in der Regel die herkömmliche C3-Photosynthese, einfach weil sie in unseren Breiten mit feucht-kühlem Klima die effektivste ist. Erst wenn es drauf ankommt,
schalten sie um auf CAM.
Natürlich ist die Wald-Fetthenne auch in anderen Aspekten sehr interessant. Auch sie ist eine Heilpflanze. Ähnlich wie die Hauswurz (Sempervivum tectorum)
wird sie hauptsächlich als blut- und schmerzstillendes Wundheilkraut und bei Insektenstichen verwendet. Der Pflanzensaft aus ihren Blättern hilft zudem bei Sonnenbrand und soll auch bei
Hühneraugen helfen. Die gesamte Pflanze gilt als schwach giftig, wird allerdings (in Maßen!) in Salaten oder als gedünstetes Gemüse gegessen. Dazu sammelt man die ganz jungen Blätter im Frühjahr.
Astrologisch gehört die Pflanze zu Jupiter (Purpur und Gelb sind typische Jupiterfarben, obwohl das Purpur der Wald-Fetthenne eher ein Weinrot ist, finde ich).
Die Wald-Fetthenne ist in der Natur nicht so oft zu finden, weshalb du sie stehen lassen solltest, wenn du sie entdeckst (meist dürfte das sowieso innerhalb eines
Schutzgebietes sein). Sie ist aber auch eine wertvolle Pflanze für den Naturgarten und wird gerade jetzt oft in den Gartenfachmärkten angeboten, zusammen mit anderen
Sedum-Arten, denn sie ist ein typischer Herbstblüher. Dazu bietet sie den Insekten nochmal eine gute Nahrungsquelle, wenn der Rest schon verblüht ist. Auf meiner Fetthenne
tummeln sich gerne Schmetterlinge und Hummeln, wenn sie in voller Sonne steht. Ich mag auch die herbstliche Rotfärbung und freue mich jedes Jahr, wenn sie blüht, weil es dann noch ein letztes Mal
vor dem Winter bunt wird.
Die Große Wald-Fetthenne (Hylotelephium telephium subsp. maximum) an einem Strandaufgang in einer Weißdüne in Timmendorfer Strand im September 2023.
Hier sieht man gut die kleinen Überwinterungsknospen der Wald-Fetthenne.
Und hier die Blätter der Wald-Fetthenne. Sie sind dicker als "normale" Blätter, wie man an den angeknabberten Stellen erkennen kann (der winzige Grund für die Knabberstellen ist auch gut zu sehen
:-)